Meine Rauhnächte als Kind
Schon als Kind fand ich diese Zeit magisch, heimelig, manchmal gruselig – schaurig schön, aber immer spannend – und immer bei meiner Oma in der Küche. Ich verbinde sie mit Herzklopfen und Magie, mit wohliger Stille und Platzen vor Aufregung.
Im Gegensatz zu den Verboten meine Wahrnehmungen laut zu sagen, waren die Rauhnächte mega erstaunlich und wurden regelrecht zelebriert.
Oft kamen Nachbarinnen dazu und wir machten es uns um den großen rosa Kachelofen herum gemütlich. Meine Oma hatte ein Sofa in der Küche (da konnte man auch gut mal einschlafen) und auf dem Herd bollerte immer »was Gutes« vor sich hin.
Es gab heiße Milch, Kakao oder Tee und natürlich selbstgebackene Kekse
Meine Oma stellte mindestens eine Kerze ins Fenster, die jede Nacht und immer die ganze Nacht brannte. »Bergmann und Engel« hielten weitere Kerzen – aber nur, bis wir zu Bett gingen. Viele sagen, es werden so viele Bergmänner und Engel aufgestellt, wie viel Kinder im Haus sind, bei uns hieß es »dass die Bergleute sicher nach Hause finden«. Die Pyramide warf flackernde Schatten an die Wände und es roch so, so gut.
Es wurden Geschichten erzählt, gruselig und magisch schön, vorgelesen aus alten Sagen-Büchern von Rasselböcken und Hexereien – und ein klein wenig geräuchert (zumindest während wir Kinder dabei waren). Ich erinnere mich an Weihrauchduft. Es wurde orakelt, gependelt, »geschnäpselt« und Blei gegossen. Die, für mich damals, alten Frauen trugen alle was dazu bei. Sie folgten einem unausgesprochenen Ritual und einem eigenen Rhythmus, wer wann was erzählte. In den Rauhnächten wurde viel geflüstert und wir durften mit niemandem darüber sprechen.
Daran haben wir uns gehalten – jedes Jahr aufs Neue. Ich liebte diese Heimlichkeit und das Gegrusel, die Rituale und die Geschichten.
Wenn Oma eine Geschichte erzählte oder mit Vorlesen dran war, fuhr sie gern mit einem Fingernagel über die Tischdecke. Noch heute jagt mir dieses Geräusch Schauer über den Rücken.
»Große« Wäsche wurde in dieser Zeit auf gar keinen Fall gewaschen. Das bringt Unglück. In dem zur Rauhnacht passenden Monat würde jemand sterben, der der Wäscherin nahesteht. Klar mache ich das heute immer noch genauso.
Am Heiligabend gab es Neunerlei – auch ein Ritual, an dem ich immer noch festhalte.
Worauf super streng geachtet wurde, war, dass die Tiere vor unserem Abendessen komplett versorgt waren. Aber das kannten wir schon, das war bei uns das ganze Jahr über so.
Schon im Vorfeld gab es Betriebsamkeit: Geliehene Dinge wurden zurückgebracht, das Haus gründlichst gereinigt. Unerledigtes wurde zu Ende gebracht. Oma hat mich oft ganz schön gescheucht.
Viele Rituale davon habe ich in meine Rauhnächte übernommen, einige auf mich und die heutige Zeit angepasst. Daran lasse ich Sie während der Rauhnächte gern teilhaben. Statt Blei gieße ich heute übrigens Schokolade.